Dienstag, 2. Juni 2015
Grey in Grey
„Ah!, seufze ich, als mein Körper sich unter seiner Zunge aufbäumt.“ Ja, das ist, Klassikerfreunde haben es sofort erkannt, ein Satz aus Band 1 der Bestsellerei „Fifty Shades of Grey“. Dem unfassbaren Erfolg der Trilogie soll ein weiterer folgen. „Grey“ heißt das neue Buch der britischen Autorin E.L. James. Christian Grey ist dieser Typ, der zu Ana Sachen sagt wie „Du gehörst mir“. Ach nein, er sagt es nicht, er „raunt“ es. Es geht auch komplexer: „Ich. Begehre. Dich. So. Sehr. Ich. Will. In. Dir. Drin. Sein. Du. Gehörst. Mir.“

Wer wollte nicht wissen, wie es im Kopf dieses Mannes aussieht? Worum seine Gedanken kreisen, während „er die Reise über meine Brüste wiederholt“. Denkt er: „Fuck, ich muss noch Zwiebeln kaufen!“ Oder: „Was glaubt diese E.L. James eigentlich?“

Sie glaubt Folgendes: „Christian ist ein vielschichtiger Charakter, und die Leser waren schon immer fasziniert von seinen Wünschen, seinem Antrieb und seiner schwierigen Vergangenheit.“ Ihre 787 000 Follower auf Twitter lässt sie wissen: „Hello all. For those of you who have asked, Christian's POV of #FSOG is published on 18th June for ...” Die Fortsetzung gibt's auf Instagram: „... his birthday. It's called GREY... I hope you enjoy it.”

Apropos Fortsetzung. Die gibt es nicht. In „Grey” erzählt James die gleiche Geschichte nochmal. Nur eben aus seiner Sicht. Ließe sich „Fifty Shades“ mit irgendetwas in der Literatur vergleichen, könnte man fragen, ob es an der Zeit sei, „Der Tod in Venedig“ nicht aus der Sicht Gustav von Aschenbachs zu erzählen, sondern den schönen Tadzio sprechen zu lassen. Statt „Er ist sehr zart, er ist kränklich, dachte Aschenbach. Er wird wahrscheinlich nicht alt werden.“ hieße es: „Der ältere Herr dort macht es aber auch nicht mehr lange. Würde er sich sonst die Haare färben?“

Für Grey in „Grey“ bedeutet das: „Jetzt seufzt sie hier wieder Ah! und sicher gleich Oh! und mir wird so langsam die Zunge stumpf. Werde ihr mal was von Besitzen und Begehren raunen ...“ Aaargh! JB

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